Ich will kein 0815-Bünzli-Gay sein!

Schwule sind Paradiesvögel – schrill, bunt, auffallend. Das war einmal. Denn an der Streetparade musste ich genau das Gegenteil erleben. Das erste Mal fühlte ich mich als Schwuler in der Gayszene unwohl.

Eigentlich wollte ich ganz normal in kurzen Hosen und Tanktop an die Streetparade. Marco, ein Freund von mir, überredete mich jedoch zu einem ausgefalleneren Partnerlook: Kurze Hosen mit Harness und bunter Perücke. Auf dem Weg zur Streetparade war mir das Outfit gegenüber anderen Leuten noch etwas unangehm. Diese lachten uns aber mehrheitlich an, sie fanden unser Outfit toll. Und an der Parade erst recht: Marco und ich waren für viele ein Fotosujet.

Nebst einer Gruppe Gays waren natürlich auch viele durchtrainierte Heteromänner mit nacktem Oberkörper zu sehen. Einer war so heiss, dass ich ihn einfach ansprechen musste: "Hey, einen gut trainierten Body hast du!". Die erste Reaktion: "Bist du schwul?". Ich meinte, dass dies keine Rolle spielen würde. Doch er wollte es genau wissen und ich outete mich bei ihm. "Ich hab kein Problem mit Schwulen, bin aber Hetero", war seine Meinung dazu – als ob ich das nicht gewusst hätte (man sieht das einfach). Und als ich meinte, dass es nur ein Kompliment sein soll, da er sicher hart für seinen Body trainiert hätte, kamen wir erst recht ins Gespräch. Und dann war die Hemmschwelle weg und ich quatsche einige andere Männer an. Mit den einen oder anderen kam ich auch ins Gespräch. Ein blonder Italiener war so drauf, dass er gar nicht bemerkte, dass ich während dem Reden ihm an den Arsch und seine behaarte Brust fasste. Ein Typ mit ebenfalls durchtrainierten Body war erst 16 – wow. Er zückte sein Handy, um mit mir zusammen ein Foto zu machen. Dabei hielt ich meine Hand auf seinen Waschbrettbauch und machte ihn darauf aufmerksam, ob ihn das stören würde. Seine Reaktion "Nein, ist doch Streetparade"! Dann musste ich zwei Frauen vor einem besoffenem Typen schützen, nahm die eine in den Arm und gab mich als Ihren Freund aus. Als ich ihr später einen Kuss auf den Mund geben wollte, meinte sie: "Nein, lieber nicht, sonst wirst du noch Hetero". Als sie dann meine Frage, ob sie schon einmal eine Frau geküsst hätte, bejahte, fragte ich Sie: "Bist du beim küssen einer Frau lesbisch geworden?" – Sie: "Hihi... sicher nöd." – Ich: "Hihi... ich bin auch nicht Hetero geworden".

Fazit der Streetparade: Heteromänner lassen sich einfach anmachen und Heteros haben keine Ahnung vom Schwulsein.

Nach dem Umzug machten sich Oli und ich auf den Weg zum Cranberry – eines der bekanntesten Gaybars in Zürich. Dort angekommen bot mir vor dem Eingang ein sehr ungewöhnliches Bild: In Grüppchen standen überall Männer in langen Hosen und T-Shirts und schlürften an ihren Cocktails. Von allen Seiten wurden uns Blicke zugeworfen, dann in den Grüppchen getuschelt. Wo war ich denn hier gelandet? An einem Kaffeekränzchen? Hallo, es ist Streetparade! Oli und ich fühlten uns so unwohl, dass wir den Ort des Geschehens fluchtartig verliessen.

Was ist mit unserer Gayszene? Ist sie wirklich so grau in grau geworden, wie sie Kjell kürzlich in seinem Blog beschrieb:

Ich vermisste die Sexualität an der Zurich Pride, das Gay im Namen, die sexy Jungs in knappen Höschen, die knisternde Erotik früherer Jahre, die wippenden Hebebühnen auf denen man tanzen durfte, die Drag Queens, die Fetischkerle, die Gogo-Boys.

Gibt es keine Paradiesvögel mehr, die an Anlässen wie die Streetparade oder dem Zurich Pride Festvial etwas auffallen, einfach mal aus sich herauskommen wollen? Haben wir Gays uns der grossen Masse so angepasst? Ja! Und es ist noch viel schlimmer: An der Streetparade sind die Heteros die Paradiesvögel! Schwule sind die Betuchten: "Auffallen? Ach herrje... auf keine Fall, wir sind anständig." Da wurde mir klar, warum mir schon 2-3 Gays sagten, sie würden lieber an Hetero-Parties gehen. Mit Heteros kann man mittlerweile bessere Parties feiern als mit Gleichgesinnten. Klar können nicht alle gleich sein. Mit 20 war ich ein Mauerblümchen, dass erste Schritte in die Gayszene wagte. Aber jetzt? Ich will nicht mehr ein 0815-Typ sein! Das ganze Leben ist genug 0815 und bünzlig. An Parties will ich anders sein: Party machen und dabei auch gewisse Erotik versprühen. Genau das, was der Zürcher Gayszene immer mehr fehlt. Schade.